BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kreisverband Haßberge

Häusliche Pflege – Mehr als ich kann?

Informations- und Diskussionsabend für und mit pflegende Angehörigen der GRünen und der EAL

Ebern – Es wird still im Saal, wenn Ursula Lang aus Königsberg von zwei WochenPflegealltag mit Ihrem an Parkinson erkrankten Mann und ihrer an Demenz erkrankten 94 jährigen Mutter erzählt, die noch in ihren eigenen vier Wänden 60 Kilometer von ihr entfernt lebt. Ursula Lang erzählt von einem strengen Wochenplan, bei dem neben den häuslichen Verrichtungen die Besuche der Pflegestation, Arzttermine, Besuche bei Logopädie und Ergotherapie und häusliche Umbauten zu bewältigen sind. Für ihre persönlichen Bedürfnisse oder Auszeiten vom Pflegealltag bleibe da kaum Zeit. Mit einem Augenzwinkern bemerkt sie: „Meine Mutter ist dement und ich habe die Demenz-Erscheinungen“. Sie spielt damit darauf an, dass es vor lauter Pflegestress schon passieren könne, dass sie vergisst, rechtzeitig die Mülltonne raus zu stellen.

Ursula Lang ist an diesem Informations- und Diskussionsabend zum Thema „Häusliche Pflege“, zu dem die Haßberg-Grünen und die Eberner Alternative Liste (EAL) eingeladen haben, nicht die einzige Teilnehmerin, die von ihrem Pflegealltag, ihren Sorgen und Nöten und ihren Wünschen nach Unterstützung erzählt. Betroffenheit macht sich breit, als ein weiterer Teilnehmer erzählt, wie er seine seit über 25 Jahren an Multipler Sklerose erkrankte Frau und zusätzlich seinen 87jährigen Schwiegervater pflegt. Nach dem pflegebedingten Verlust seines Arbeitsplatzes leben er und seine Familie mittlerweile von Hartz IV-Leistungen.

Mit dabei sind an diesem Abend Kerstin Celina, sozial-, familien- und arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen im Bayerischen Landtag, Rita Stäblein, Krankenschwester und Grünen-Landratskandidatin, Gudrun Greger, Leiterin des Haßfurter Mehrgenerationenhauses und Dorith Böhm-Näder von der Fachstelle für pflegende Angehörige in Haßfurt.

Kerstin Celina weist in ihrem Einführungsvortrag darauf hin, dass die Zahl der über 80jährigen Menschen in Deutschland von rd. 3,2 Mio. im Jahr 2003 auf rd. 9,1 Mio. im Jahr 2050 zunehmen werde. Diese Entwicklung habe einen starken Anstieg der Pflegebedürftigen zur Folge. Derzeit seien in Deutschland rd. 950.000 Personen in der Pflege beschäftigt, davon rd. 660.000 in der stationären und rd. 290.000 in der ambulanten Pflege. Der Personalbedarf in der professionellen und häuslichen Pflege betrage bis zum Jahr 2013 bis zu 500.000 zusätzliche Stellen. Dies sei eine große gesamtgesellschaftliche Herausforderung

Neben dem Erfahrungsaustausch geht es an diesem Abend vor allem darum, pflegenden Angehörigen aufzuzeigen, welche Unterstützungsmöglichkeiten es für sie gibt. Rita Stäblein weist darauf hin, dass häusliche Pflege nur gelingen kann, wenn diese nicht in der Selbstaufopferung der pflegenden Angehörigen endet, sondern diese weiterhin auch ihr eigenes Leben leben können.

Flächendeckend vorhanden sei ein Unterstützungsangebot durch die ambulanten Pflegedienste, so Rita Stäblein. Welchen Umfang diese Unterstützung hat, hängt laut Gudrun Greger vom Haßfurter Mehrgenerationenhaus jedoch maßgeblich davon ab, wie der Pflegebedürftige vom medizinischen Dienst eingestuft wird, sprich in welchem Umfang Leistungen aus der Pflegeversicherung gewährt werden. Viele Patienten würden bei der Einstufung versuchen, ihre Situation zu schönen, was dann geringere Leistungen und dementsprechend einen geringeren Pflegeinput nach sich ziehe. Die Fachstellen für pflegende Angehörige in Haßfurt (Bayerisches Rotes Kreuz), Ebern (Caritas) und Maroldsweisach (Diakonie) könnten hier Unterstützung leisten. Dorith Böhm-Näder von der Fachstelle für pflegende Angehörige in Haßfurt ergänzt, dass die Krankenkassen nur Katalogleistungen bezahlen, die Kataloge aber nicht alle notwendigen Leistungen abdecken. Hier sei eine Öffnung der Leistungskataloge erforderlich.

Außerdem weist Dorith Böhm-Näder darauf hin, wie wichtig für pflegende Angehörige ein gutes soziales Netzwerk sei, besonders in Haushalten mit zu pflegenden Angehörigen, in denen auch noch Kinder leben. Auch hier bieten die Fachstellen Schulungen an und helfen dabei, Unterstützung zu organisieren.

Ursula Lang erzählt, dass sie sich ein bis zweimal im Jahr ihre Auszeiten nimmt und auch therapeutische Unterstützung in Anspruch nimmt, um mit den Belastungen des Pflegealltags dauerhaft zurecht zu kommen. Besonders wichtig sei ihr die Mitarbeit in einer Parkinson-Selbsthilfegruppe. Der Erfahrungsaustausch mit anderen betroffenen und die fachlichen Impulse zur Parkinson-Erkrankung ihres Mannes seien ihr eine große Unterstützung.

Eine andere Teilnehmerin verweist auf die „Aktion Pflegepartner“ der Diakonie, bei der sie als Helferin einmal in der Woche für vier Stunden eine pflegende Familie unterstützt hat. Darüber hinaus ist sie auch als Hospizbegleiterin des Malteser Hilfsdienstes tätig. Kerstin Celina lobt dieses ehrenamtliche Engagement und merkt an, dass sich auch in den Köpfen der Menschen noch einiges an der Einstellung zu und dem Umgang mit pflegebedürftigen Menschen ändern müsse. „Barrierefreiheit“ bedeute für Sie nicht nur, Rampen für Rollstuhlfahrer zu bauen. Vielmehr müsse es auch ganz selbstverständlich sein, beispielsweise mit demenzerkrankten Menschen eine Gaststätte zu besuchen. Was Kindern an „Auffälligkeiten“ zugestanden werde, gelte für ältere und pflegebedürftige Menschen leider oft noch nicht. Vermeintlich verstörende oder peinliche Situationen dürften nicht in einem Rückzug der pflegenden Angehörigen enden.

Hausaufgaben im Pflegebereich werden auch noch für die Politik gesehen. Neben verbesserten Pflegeleistungen gelte es insbesondere die soziale und finanzielle Anerkennung des Pflegepersonals zu verbessern. Und auch im Pflegesystem selbst gelte es noch Fehler auszumerzen, beispielsweise wenn ein Kostenersatz für private Krankentransporte abgelehnt und auf offiziellen Krankentransporten mit einem mehrfachen Kostenaufwand bestanden werde.

Mut machte Ursula Lang zum Abschluss allen pflegenden Angehörigen, trotz der Belastungen eines Pflegalltags den Humor nicht zu verlieren. Auch im Pflegealltag bleibe immer wieder Raum für heitere Momente. Wer seinen Humor verliere, habe schon verloren. Und auch seinen Wut und seinen Zorn von Zeit zu Zeit herauszulassen sei völlig in Ordnung.

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